Es begann irgendwann im Jahre 1960, als wir eine kleine Dixieland Band gründeten und in einem Keller in der Innenstadt von Bielefeld übten. Wir dachten, wir hätten alles, was wir dazu brauchten, außer einer Posaune. Aber die ersetzten wir einfach durch ein Tenorsaxofon. Das Ganze war nicht viel mehr als eine Schulband, aber wir waren mit viel Enthusiasmus dabei. Immerhin erregten wir so viel Interesse, dass im Vorraum zum Übungsraum immer einige Leute saßen, die auch ihre Instrumente dabeihatten und gerne mitgemacht hätten. So entstand damals der sicherlich etwas diskriminierende Begriff Hilfsjazzer.
Eines Abends erschien ein etwas eigenartiger aber freundlicher Mensch. Er besaß ein Moped und, was noch besser war, eine Posaune. Er war etwas älter als wir und meinte, er wüsste genau wie das geht: Dixieland Jazz spielen. Seine Name war Hans-Joachim Hillenkötter und sein Spitzname war Tötter. Er war Maler von Beruf und lebte in einem alten aber liebevoll hergerichteten Kotten am Stadtrand von Bielefeld. Dort konnten wir so laut spielen, wie wir wollten, niemand störte sich daran. In der Tat wusste Tötter eine Menge über Dixieland Jazz, schließlich besaß er auch ein Tonbandgerät und eine Menge interessanter Aufnahmen von bekannten Bands. Daher dauerte es gar nicht lange und die Bourbon Street Paraders waren gegründet. Und ein paar Wochen später folgte der erste kurze Auftritt in Bielefeld's Jazz-Zentrum, dem Bunker Ulmenwall. Von da an war die Band dort regelmäßig zu hören.
Hier sieht man die Bourbon Street Paraders im Jazz Club Minden, schon mit Alwin am Schlagzeug.
Die ersten Bandmitglieder waren:
(Klaus Reinhardt, unseren Banjo-Mann, hatte ich schon lange aus den Augen verloren, nicht einmal sein Vorname war mir mehr im Gedächtnis. Bis ich erfuhr, dass er über viele Jahrzehnte als "Onkel Willi" in Münster ein stadtbekannter und respektierter Straßenmusiker war. Danke an Sarah Lieneke vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe.)
Es war eine großartige Zeit für Dixielandmusik, überall wollte man genau das hören. Deshalb waren wir auch gleich gut im Geschäft. Wir klapperten die Vororte und Städte im Umkreis von Bielefeld ab. Jede Dorfkneipe mit einem kleinen Saal war geeignet. Plakate druckten wir per Linolschnitt auf die Rückseiten von übriggebliebenen Tapetenresten. Meist reichte es völlig aus, ein paar davon an einige Bäume im Umkreis der Dorfkneipe zu pinnen.
Im Sommer 1962 machten wir alle (außer Eckhard) zusammen Urlaub in Holland auf einem Campingplatz auf der Insel Overflakkee. Irgendwie hatten wir die Nase voll von Musik und deshalb ließen wir die Instrumente zu Hause. Das war ein Fehler und so legten wir unser Geld für Benzin zusammen und einige fuhren schnell zurück und holten die Instrumente nach. Von da an hatten wir keine freie Minute mehr, die Leute auf der Insel liebten uns und luden uns überallhin zum Spielen ein. Hier kann man uns sehen, wie wir auf einer dem Strand vorgelagerten Sandbank spielen. Wir musssten fast schon schwimmen um dorthin zu kommen. Beinahe hätte ich das Mundstück meiner Tuba im trüben Wasser verloren, ich konnte es gerade noch mit den Zehen erwischen.
Die Zeiten änderten sich und auch die Beteiligten. So etwa in 1964 stellte ich die Tuba beiseite und widmete mich wieder dem Kontrabass.
Es muss etwa 1964 gewesen sein. Ein berühmter US-Musiker tourte durch Deutschland: Der Trompeter Nelson "Cadillac" Williams, der unter anderem in der Duke Ellington Big Band gespielt hatte. Eines Abends hatten wir einen Auftritt in einem der Jazzclubs im Umfeld von Bielefeld, als Nelson mit seiner Trompete erschien und wir ihn begleiten mussten. Offenbar machten wir das ganz gut, so dass alle zufrieden waren, auch Nelson und insbesondere sein deutscher Agent Rettig.
Natürlich habe ich ihn dazu befragt, wie er denn zu seinem Spitznamen "Cadillac" gekommen sei. Dazu hat er mir bereitwillig folgendes erzählt:
"Duke Ellington war er erfolgreicher Bandleader, und natürlich fuhr der ein standesgemäßes Auto: ein Fahrzeug der Marke Cadillac. Er, Nelson, war neidisch darauf und besorgte sich bei nächster Gelegenheit ein Fahrzeug der gleichen Marke, nur gebraucht und natürlich wesentlich preiswerter. Das parkte er dann herausfordernd neben dem Wagen des Chefs. Und der konnte nicht anders, als ihn fortan "Cadillac" zu nennen."
Ein paar Wochen danach fuhr ich auf ein Bier in den Jazzclub Spenge, einer kleinen Stadt im Norden von Bielefeld. Ich wusste es nicht vorher, aber an dem Abend waren Nelson und sein Agent auch dort. Offenbar hatte der Club versprochen, für Nelson eine Begleitband zu besorgen, aber irgendwie hatte das nicht geklappt. Es dauerte nur wenige Augenblicke bis Nelson mich entdeckt hatte. Ob ich nicht ...? Natürlich, aber wer hat schon jeden Abend seinen Bass dabei? Kein Problem, der Club besaß einen Kontrabass, ein fürchterliches Instrument mit einer grauenhaft hohen Saitenlage. Das wurde natürlich nicht als Entschuldigung akzeptiert, und so entstand innerhalb von Minuten das Nelson Williams - Ernst Schröder Duo. Ich muss wohl eine akzeptable Arbeit abgeliefert haben, jedenfalls waren am Ende alle zufrieden. Nur meine Finger nicht, aber dafür bekam ich so viel Bier wie ich wollte.
Die Bourbon Street Paraders waren in den folgenden Jahren weiter recht erfolgreich. Hier sind ein paar Fotos, das letzte vom Karneval im Bielefelder "Gesellschaftshaus". Klarinette spielte jetzt Jürgen Dohse und Trompete Hans Berkau. Die Rhythmusgruppe bestand jetzt aus Klavier, Gitarre, Bass und Schlagzeug.
Das Jahr 1965 brachte dann einige Umstellungen. Ich begann mein Studium in Hannover und auch die anderen gingen in neue Richtungen. Einige findet man wenig später wieder in der recht erfolgreichen Deutsch-Rock Band Creative Rock.