Auf dem kleinen Turm

von Ernst F. Schröder DJ7HS

Am 25. März 2021 lief in der ARD eine kurze Dokumentation mit und über Hans Kinder und Peter Quednau, "Manager Großstandorte" der Telekom, natürlich auf und mit ihrem Standort, dem 282m hohen, "Telemax" genannten Funkturm in Hannover. Beeindruckend waren die Bilder von oben und besonders auch die Schilderung der Sicherheitsvorkehrungen und der notwendigen "Steigeberechtigung". Das erinnerte mich an eigene Erlebnisse.

Ich wohne nicht weit entfernt vom Telemax, habe seinen Bau verfolgen können und war auch schon zweimal bei einer der seltenen Besichtigungsmöglichkeiten dabei. Sein kleinerer Vorgänger, der 1960 in Betrieb genommen wurde und heute der Volkswagen AG gehört, steht im Zentrum der Stadt, am Bahnhof. Ich erinnere mich an den Sommer 1967, ich hatte einen Praktikumsplatz beim Funkstörungsmessdienst der Post bekommen, und diese Dienststelle befand sich in dem damaligen Gebäude am Fuße des Turms. Das war auch deswegen ideal, weil ich gleich gegenüber wohnte, in der Steintorfeldstraße 1, unterm Dach.

Der Funkstörungsmessdienst hatte mehrere Aufgaben, unter anderem suchte man mit tragbaren Messgeräten die doch zahlreichen "Schwarzseher", und man war zuständig für Zulassung und Überwachung der Geräte des öffentlichen und nichtöffentlichen beweglichen Landfunkdienstes (öbL und nöbL). Dahinter verbargen sich Taxi- und Betriebsfunk, sowie die seltenen, in PKW eingebauten drahtlosen "Auto-Telefone". Das kennzeichnende Fahrzeug der Mitarbeiter war ein postgelber Opel Caravan mit Peilantenne auf dem Dach, innen umfangreich ausgestattet mit Messgeräten und deren Stromversorgung.

Ich war eingeteilt bei Ernst Brunschön, zuständig für öbL und nöbL. Wir waren fast täglich draußen unterwegs. Jedes neu ein- oder umgebaute Auto-Telefon musste auf Einhaltung der Grenzwerte überprüft werden: die Ausgangsleistung wurde an einer künstlichen Antenne gemessen, und die genaue Frequenz eines jeden Arbeitskanals im damals einzigen A-Netz bei 160 MHz wurde überprüft. Frequenzzähler gab es nicht, gemessen wurde per Schwebungston mit Hilfe einer Schomandl FD-1 Frequenzdekade. Deren Bedienung mit mehreren Knöpfen und Skalen gleichzeitig, das war fast schon Akrobatik. Man stelle sich nur einmal vor, jedes neue Smartphone müsste heute ähnlich behandelt werden. Ernst Brunschön war nicht nur ein hervorragender technischer Ausbilder, er war dazu auch beliebt und bekannt als Pflanzen- und Schädlingsberater bei den Kleingärtnern in und um Hannover.

In diesem Praktikum habe ich viel lernen können, aber einmal konnten auch die Postler etwas von mir lernen, und das kam so: Eines Morgens kam die Meldung, dass ein Funkkanal gestört sei. Am Messempfänger mit der Festantenne konnten wir schnell feststellen, dass offensichtlich eine der beweglichen Stationen dauerhaft den eigentlich zum Beenden dienenden Quittungston aussendete. Vielleicht hing dort ein Relais, der Sender schaltete nicht ab und einer von nur wenigen Kanälen eines teuren und prestigebehafteten Dienstes war blockiert. Was tun? Abwarten, bis der Betreiber etwas merkte oder bis der Akku des Fahrzeugs leer war? Diese Option war nicht denkbar. Der Funkstörungsmessdienst musste seine ureigene Aufgabe wahrnehmen. Aber wie?

Da kam der Funkamateur in mir ins Spiel: wir könnten doch erst einmal die Richtung des Verursachers peilen. Mitten in der Stadt? Ja, einen besseren Standort als unseren Turm hoch über uns gab's doch gar nicht. Gesagt, getan: der Messempfänger, eine UKW-Richtantenne und Kabel mit Dezifix-Steckern wurden in den Fahrstuhl geladen, und dann ging es auf die oberste Plattform des Fernmeldeturms, in etwa 100m Höhe. Sicherheitsvorkehrungen: keine. Da standen wir dann in der Sonne, es war zu unserem Glück kaum windig, und wir machten unsere Peilung. Die war schnell klar und eindeutig, der störende Sender befand sich in Richtung Hameln.

Kurze Zeit später saßen wir dann im Opel Caravan und fuhren Richtung Hameln. Das Signal war stabil und nahm auch zu, je näher wir kamen. Dann aber, als wir jenseits der Weser waren, nahm das Signal rapide ab und verschwand schließlich. Der Funkkanal war wieder frei. War das Fahrzeug weitergefahren? War vielleicht endlich der Akku leer? Wir haben es nie erfahren, der Erfolg hing nicht von unserem Einsatz ab. Aber einfach ein paar Stunden warten, das war von Anfang an nicht in Frage gekommen.

Ich denke gern an diese schöne Zeit im Sommer 1967 in der Postdienststelle zurück, es war eine freundliche, fast familiäre Umgebung. Und eine deutsche Dienststelle: die Toiletten waren im öffentlich zugänglichen Treppenhaus, und selbstverständlich hing der Schlüssel dazu innen in der Dienststelle, neben der Tür zur Treppe. Im ersten Zimmer vorne saß Frau Dieroff, die für die Verwaltung der Amateurfunk-Lizenzen zuständig war. In der Werkstatt versorgte Herr Meier liebevoll die flüssigkeits-gefüllten Akkumulatoren für die tragbaren Schwarzseher-Messempfänger, und wenn ein dienstlicher Einsatz nach Norden in Richtung Heidedörfer ging, dann machte man schon mal einen kleinen Umweg und brachte eine Ladung frischer Eier mit zurück für die ganze Mannschaft. Keinen Außen-Einsatz gab es aber am 25. August 1967, da haben wir alle gemeinsam vor einem der ersten Telefunken-Farbfernsehempfänger gestanden und zugesehen, wie Willy Brandt den symbolischen Start-"Schuss" gab für das Deutsche PAL-Farbfernsehen.

 


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